Geschichten

Hier möchte ich einfach ein paar Gedanken teilen.  Euch mitnehmen in eine Geschichte, die erzählt, wie ich dazu gekommen bin, über das Leben, den Tod, Erinnerungen, Gedenken zu sprechen. Ich habe sie geschrieben als unser Vater gegangen ist. Es ist meine Geschichte, die aber vielleicht auch ein kleines Stück von eurer Geschichte ist. Eine Erzählung von Liebe, Abschied und Erinnerung.

 

Sie trägt den Titel Schwarze Löcher beginnt so:

Eigentlich wollte ich damals nicht dort sein. Wie alle anderen wohl auch. Ich erinnere mich, wie eisiger Winterwind die kahlen Äste der umstehenden Bäume peitschte. Vereinzelt fielen Regentropfen vom grauen Himmel und sprenkelten die vielen Steine, die an diesem Ort aufrecht aus dem Boden ragen und alle Namen tragen, mit kleinen dunklen Punkten und ein Mann im schwarzen Talar, er sprach zu uns. Über ihn. Wir standen versammelt auf dem verblichenen Rasen, hörten zu und sehnten uns gemeinsam nach schöneren Tagen.

Ich war zwar da, aber ich spürte den eisigen Wind nicht. Fühlte den kalten Regen nicht. Hörte die lieben Worte nicht. Alle meine Gedanken und Empfindungen schienen in diesem Abgrund zu verschwinden, an dem ich eine ganze Weile stand und tränenblind hineinstarrte. Meine Welt bestand nur aus einem dumpfen dunklen Rauschen und diesem Schwarzen Loch direkt vor mir, das alles um mich herum verschlang. Dabei war es gerade einmal zwei Meter tief.

Dann hörte der Mann im schwarzen Anzug plötzlich auf zu sprechen und ich war dran. Erst Blumen und dann Erde. Und ich weiß noch, wie ich mich bückte, in den kleinen Hügel dunklen Bodens griff, die vor dem Schwarzen Loch lag und plötzlich spürte, wie unerwartet vertraut und wohlig sich die kalte Erde in meiner Hand anfühlte. Sie trug die Erinnerung an den Duft von Ackerboden und die Liebe zu seiner Berufung als Landwirt in sich. An harte Arbeit, schwarzen Kaffee, Bestellung und Ernte, Würstchen und Kartoffelsalat, unermüdlichen Fleiß, Posaunenständchen, Ausflüge in die Gemarkung und sich-selbst-vergessende Hingabe.

Und dann ließ ich los. Aus meiner geöffneten Hand fiel die Erde in den Abgrund und verwandelte sich in verloren geglaubte Strahlen erinnernden Lichts vergangener Tage. Sie leuchteten mir aus dem Schwarzen Loch entgegen und ich dachte: Alles kann es also doch nicht verschlingen. –

Und heute ist alles anders. Heute möchte ich hin. Dorthin, wo nun sein Stein steht. Die Zeit heilt gewiss nicht alle Wunden, aber ich lerne jeden Tag mehr mit dem Unbegreiflichen zu leben und breche auf zu dem Ort, wo einst das Schwarze Loch war und nun in der Sommersonne Blumen wachsen.

Ich schnappe mir eine der grünen Gießkannen und hole Wasser. Die Sonne wärmt mir den Rücken und ihre Strahlen färben das aus der Gießkanne spritzende Wasser für die bunten Blumen regenbogenfarben. Der Sommer hat den Blättern der umstehenden Bäume das schönste Grün geschenkt. Der einst verblichene Rasen leuchtet und die damals im Schwarzen Loch begrabene Geschichte ist Teil meines Lebens.
Es hilft, herzukommen. Sich zu erinnern. Die Wege von einst zu gehen. Ich stelle die Gießkanne ab, setzte mich auf eine Bank, schaue zu Dir rüber und erzähle Dir von meinen Tag.
Und manchmal denke ich dabei: Was bist Du für ein Spinner, Johannes. Redest hier vor Dich hin und fängst auch noch an über Deine eigenen Geschichten zu lachen. Aber dann lachst auch Du und alles ist in Ordnung, auch wenn das Schwarze Loch nie ganz weg sein wird. Hier drinnen. An manchen Tagen zieht es mich noch in seinen Bann. Doch heute ist es schon anders. Ich kann es wieder spüren, das Rauschen des Windes. Kann sie hören, die Worte von damals. Kann es fühlen. Das Leben. Dein Leben. Ich werde immer ein dankbarer Teil davon sein und bin glücklich über dieses Geschenk. Und irgendwann sehen wir uns wieder. Das meinte jedenfalls der Mann im schwarzen Talar damals. Und ich will es gerne glauben. 
 

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